Zur Ehrenrettung der Bratsche/rInnen
Eigentlich
müsste ja jedem bewusst sein, das in der Viola der Ursprung der
Streicherfamilie zu finden ist. Sie ist sozusagen „Mutter“ der
„Streicherkompanie“. Die Viola entwickelte sich aus der Lira da braccio im 16.Jahrhundert
zur Viola da braccio, der „Armgeige“ (nicht zu verwechseln mit einer Geige für
Arme), sie wird gebräuchlicherweise im Volksmund aber liebevoll Bratsche
genannt. Als deren „Tochter“ würde man
die Violine (Verkleinerung von Viola) bezeichnen. Geschichtlich nicht ganz
korrekt wäre der Kontrabaß der „Vater“, ursprünglich Violone und das
Violoncello (also wiederum die Verkleinerung) vielleicht dann ein unehelicher
Sohn....!? ...soviel zum evolutionären Umfeld der
Bratsche.
Aber
warum gibt es eigentlich so viele Bratschenwitze, hat da die Emanzipation der
Bratsche in der Musikgeschichte nicht so ganz hingehauen? Warum wurde und wird
die „Mutter“ nicht ernst genommen? Dabei haben doch viele Komponisten gerne
selbst zur Bratsche gegriffen oder zumindest wunderbare Werke für Bratsche
geschrieben, was nur wiederum mancher Geiger nicht so gerne hören will. Es gibt
augenscheinlich nicht so viele Werke wie etwa für die Violine, aber vielleicht
hat bei den Komponisten (unter)bewusst die Qualität über die Quantität gesiegt.
Erwähnt sei hier beispielsweise J.S.Bach, der in seinem 3.Brandenburgischen
Konzert neben den drei Violinen und drei Celli, drei!!! Bratschen mitstreiten
lässt. Im 6. Brandenburgischen gibt es gar keine Geigen! In Mozarts „Sinfonia
concertante“ ist die Viola gleichwertig neben der Geige zu hören und ist deren
Klang dort nicht vielleicht sogar anmutiger, schmelzender und warmtönender als
der Klang der Geige, wenn sie gut gespielt wird? Oder nehmen wir einmal die
fantastischen Streichquartette “Tod und das Mädchen“ ,
„Das Amerikanische“ und „Aus meinem Leben“. Dort hat die Bratsche wunderbare
Melodien voll sehnsuchtsvoller Tiefe zu spielen. Jeder Geiger träumt doch
insgeheim davon, einmal diese Werke mit Freunden selbst auf der Bratsche zu „zelebrieren“.
Schubert, Dvorak und haben es getan.
Erwähnt
werden sollten auch die Solokonzerte wie das von Paganini selbst bestellte
Konzert von H. Berlioz „Harold in Italien“, sicherlich auch unter dem Namen
„längster Bratschenwitz“ bekannt. Das sich das Konzert
vorwiegend durch Pausen für die Soloviola auszeichnet, spricht für das Werk und
den Komponisten. Immer mehr aber widmeten sich Komponisten der neueren
Musikgeschichte der Bratsche, wie z.B. Bartok mit seinem letzten unvollendeten
Opus, seinem berühmten Violakonzert. Dass er noch vor Vollendung des Werkes
gestorben ist, gibt einem natürlich schon zu denken. Hindemith schrieb etliche
Sonaten für die Bratsche. Jeder Bratscher kennt die Satzbezeichnung aus seiner
Solosonate opus 25 Nr.1: „Rasendes Zeitmaß. Wild. Tonschönheit ist Nebensache.
Viertel= 600-640(!!!)“ Was wollte der Komponist uns wohl damit sagen, - wir
werden es nie erfahren. Neben den Bratschenkonzerten ist schließlich die
Trauermusik eines der typischen Bratschenstücke. Hindemith schrieb dieses kurze
Werk innerhalb von drei Tagen zum Tode König Georgs des V und ließ es sich
nicht nehmen, selber bei den Trauerfeierlichkeiten die Bratsche zu spielen.
Von den noch lebenden Komponisten sei hier
einmal Ligeti genannt, der zur Solistin Tabea Zimmermann nach Uraufführung
eines Violakonzertes, das mit einem traurigen, jüdischen Thema auf der C-Saite
beginnt sagte: „Passen Sie auf, wenn Sie
so weiterspielen, bekommen Sie noch ein Stück von mir. Seine Begeisterung für
ihre C-Saite hat er immer wieder betont, der erste Satz seiner Sonate wird dann
auch ausschließlich auf dieser Saite gespielt. Was man dort spielen muss, sagt
T. Zimmermann ist absolut grenzwertig: „Ligeti hat das auf die Spitze
getrieben“. In diesem Interview mit Stefan Schickhaus (sie können es auf Seite
14 nachlesen) antwortet T. Zimmermann auf die Frage, was heutige Komponisten am
Klang der Viola reizt, folgendes: „Zum einen ist es ja so, dass wir einfach
Literatur brauchen. Man entdeckt jetzt die Bratsche als ebenbürtiges Soloinstrument,
und es gibt bislang kaum Stücke für sie. Es ist ja aber auch ein sperriges,
störrisches Instrument, das man meistern muss - vielleicht reizt auch das. Für
die Schnelligkeit wie auf einer Geige braucht man mehr Kraft im Detail, es darf
aber selten nach Kraft klingen. Sie ist nun einmal größer, hat dickere Saiten,
spricht bei zu wenig Druck schlechter an - es gibt nicht umsonst so viele
Bratscher-Witze, die die Langsamkeit und Behäbigkeit von Bratschern zum Thema
haben. Geht man mit einer Geigentechnik an die Bratsche heran, klingt es erst
einmal träge. Mein Anspruch ist, das zu überwinden, damit es in virtuosen
Passagen genau so leicht und schnell klingen kann. Da brauche ich dann die
schnelleren Finger und den schnelleren Kopf als ein Geiger.“
Nun
haben wir es sogar schwarz auf weiß: Um Bratsche spielen zu können braucht man
also einen schnelleren Kopf. Das wussten die Bratscher ja schon immer, aber im
alltäglichen Leben kommt das anscheinend nicht so ganz rüber, denn das Wesen
des Bratschers strömt innere Ruhe, Gelassenheit und Warmherzigkeit aus. Er ist
bescheiden, ...wie sein Instrument. Er nimmt die Last des im Orchester
Belächelten gerne auf sich und kokettiert damit, denn er weiß, dass die
Bratschen in einem guten Orchester absolut unverzichtbar auch für den
Orchesterklang sind, und das weniger wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, als
viel mehr wegen der vielen Anekdoten und Witze rund um die Bratsche. Ein
Bratscher hat halt Humor und er lebt ihn auch.
Damit hätte sich die Frage ja doch zum Guten hin
gewendet, warum es die vielen Bratschenwitze gibt und warum sie in der
Orchesterkultur so wichtig sind. Der nichtbratschende Musiker muss deswegen
wohl eine kleine, aber nicht ganz unwichtige Niederlage hinnehmen und neidisch
auf die bratschende Zunft blicken, denn so viele Witze haben die richtigen
Musiker wie Dirigenten, Bässe, Bläser u.v.a.m. einfach nicht zu bieten.
Andreas Denhoff 15.9.2002